Hilfe zur Selbsthilfe

Interview mit einem Soziallotsen | von Claudia Eisenreich aus dem Pfingstpfarrbrief 2022

 

Soziales Engagement ist ein zentraler Baustein einer funktionierenden Gemeinschaft. Viele führen ihr Leben sehr isoliert und auf sich selbst konzentriert, leben nebeneinanderher statt miteinander oder gar füreinander. Sich freiwillig, unbezahlt und auf Kosten der eigenen Freizeit für andere einzusetzen, ist gelebte Caritas – Nächstenliebe. Seit dem vergangenen Jahr haben sich knapp zehn Freiwillige zu ehrenamtlichen Sozial‐ lotsen ausbilden lassen, die nun in unseren Abteigemeinden Menschen in Krisensituationen beraten und ihnen Wege aufzeigen, wie sie ihr Leben in den Griff bekommen können. Claudia Eisenreich hat mit Rüdiger Servos, einem der neuen Soziallotsen, gesprochen. 

 

Herr Servos, erzählen Sie uns kurz etwas zu Ihrer Person und wie Sie zum Soziallotsen wurden. 

Mein Name ist Rüdiger Servos, Jahrgang 1958. Ich wohne mit meiner Frau in Bergheim-Kenten, bin studierter Jurist und seit 2020 im Vorruhestand. Meine berufliche Laufbahn begann im Bundesinnenministerium, später war ich als Jurist bei der Postbank Bonn tätig - sowohl in Personalverantwortung als auch im Qualitätsmanagement. Als das Ende meiner beruflichen Laufbahn näher rückte, beschloss ich, mit der neu gewonnenen Freizeit etwas Sinnvolles anzufangen. So bewarb ich mich mit Anfang 60 beim Bundesfreiwilligendienst und absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr beim Evangelischen Kirchenpavillon in Bonn. Dort kam ich das erste Mal in Kontakt mit dem Thema Sozialberatung und hatte die Gelegenheit, bei vielen Beratungsgesprächen zu hospitieren und Erfahrungen zu sammeln. Nach Ablauf des Freiwilligendienstes habe ich dann – coronabedingst in vier Online-Modulen – die Fortbildung beim Caritasverband Rhein-Erft zum ehrenamtlichen Soziallotsen gemacht. 

 

Warum engagieren Sie sich in unserer Pfarreiengemein‐ schaft in der Sozialberatung? 

In Kerpen-Sindorf war der Bedarf an Soziallotsen schon gut gedeckt und so habe ich mich entschlossen, mich in Brau‐ weiler/Geyen/Sinthern zu engagieren, obwohl ich nicht in dieser Gemeinde wohne. Hier wurden noch Leute gesucht. Da ich mal eine Jugendliebe in Brauweiler hatte, habe ich gute Erinnerungen an den Abteiort und so fiel mir die Wahl nicht schwer. 

 

Welche Motivation hatten Sie, sich in diesem Bereich ehrenamtlich zu engagieren? 

Wissen Sie, ich habe doch ein sehr privilegiertes Leben geführt und tue es noch. Ich hatte das Glück, eine solide Ausbildung zu bekommen und habe ein gutes Auskommen. In meinem Beruf gehörte das Durchdringen komplizierter
Sachverhalte, das Lösen von Problemen und der Umgang mit Menschen zur Tagesordnung. Ich wollte diese „Talente“ gerne weiter so einbringen, dass auch andere davon profitieren: die, die einen ungleich schwereren Stand im Leben haben. Ich musste in dem Freiwilligen Sozialen Jahr feststellen, dass es davon leider sehr viele in unserer Gesellschaft gibt. Noch bedrückender ist allerdings, dass es bei vielen kein Bewusst‐ sein für die Not und Armut gibt, die mitten unter uns ist. 

 

Wie sieht denn das Angebot der Soziallotsen für die Hilfesuchenden aus? 

Im Grunde sind wir zuerst mal da, um zuzuhören. Das ist schon nicht immer einfach, weil viele Geflüchtete zu uns kommen, für die die Sprachbarriere sehr hoch ist. Das fängt bei der einfachen Kommunikation an, wird aber besonders relevant, wenn es um Papierkram und behördliche Dinge geht. Mit der Bürokratie sind viele schlicht überfordert. 

Wir möchten aber den Klienten nicht alles abnehmen, sondern sie befähigen, selbst zurechtzukommen. Wir zeigen ihnen, wie das Lotsen halt tun, mögliche Wege aus ihrer Misere auf und vermitteln die notwendigen Kontakte. Wir können die Welt für diese Menschen nur einfacher machen, nicht retten. 

 

Wer sind Ihre Klienten und mit welchen Problemen kommen sie zu Ihnen? 

Die meisten unserer Klienten sind Geflüchtete, die aus völlig anderen Kulturkreisen kommen und versuchen, sich hier eine neue Existenz aufzubauen. Da fängt es an mit der Suche und Ausstattung von Wohnraum, geht von der Hilfe bei der Registrierung, dem Angebot von Sprachkursen und Unterstützung bei der Suche von Kita-, Schul- oder Arbeitsplätzen hin bis zur Vergabe von finanziellen Darlehen. Viele nehmen die Betreuung und Beratung im Lotsenpunkt über mehrere Jahre in Anspruch. Da, wo Personen ohne Migrationshintergrund keine Probleme haben, weht diesen Menschen oft ein kalter Wind entgegen und Arbeitgeber nutzen manchmal auch deren Ahnungslosigkeit schamlos aus. Dann ist es wichtig, wenn sie mit uns Helfer haben, die sich für sie einsetzen. 


Gibt es für Ihre Arbeit ein Qualitätsmanagement? 

Wir haben regelmäßig im Team Reflexionstreffen, bei denen wir mit den anderen Soziallotsen über unsere „Problemfälle“ sprechen, uns gegenseitig Rat geben und austauschen können. Jedes Beratungsgespräch in unseren Sprechstunden wird protokolliert und dokumentiert.
Wir arbeiten eng mit dem Caritasverband zusammen, der bei Bedarf Supervision und Fortbildungen anbietet. Dort werden auch die Beratungsprotokolle statistisch ausgewertet, damit das Angebot langfristig kundenorientiert ausgerichtet werden kann. 

 

Sie sind in Ihrem Ehrenamt konfrontiert mit Menschen, die eher im Abseits stehen. Was braucht es in Ihren Augen, damit in unserer Gesellschaft ein besseres Miteinander geingt? 

Ein guter Anfang wäre schon, wenn wir einander besser zuhören würden und mehr auf den Nächsten und seine Situati‐ on schauen, bevor wir Entscheidungen treffen. Dann ist es wichtig, einander mit Wertschätzung zu begegnen und keine Vorurteile zu haben. Offen sein für Neues, Fremdes, Ungewohntes. Dabei darf man sich selbst am Ende nicht aus dem Blick verlieren. Bei aller Nächstenliebe ist es auch wichtig, sich im gesunden Sinne abzugrenzen und nicht alles an sich heranzulassen. 

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Servos, und noch viel Erfolg für Ihre Tätigkeit! 

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